Briefe an Jokaste: 7.Brief
Jokaste!
Es ist
kurz nach vier, die Wache ist gerade zu Ende, ich stehe auf der
Steuerbordseite des Schiffes und schaue hinüber zum Ufer. Unter meinen
Händen spüre ich das raue, kalte Metallrohr der Reling. Wir passieren
gerade den Felsen von Gibraltar, der im Dunst des Morgennebels halb
verborgen ist. Noch ist die Luft kühl und ich habe mir die Kapuze des
Fleece - Pullis über den Kopf gezogen. Das Meer ist heute früh ganz
ruhig, ungewöhnlich an diesen Ort. Für die Menschen der Antike lag hier
das Tor in eine andere Welt, durch die
Säulen des Herakles trat der Reisende in das Reich der Schatten.
Europa und Afrika treffen hier aufeinander, der Felsen von Gibraltar und
das Atlasgebirge liegen sich gegenüber. Das Mittelmeer und der Atlantik
vermischen ihre Wassermassen und zwei Winde tanzen in einem ewigen
Wechselspiel miteinander, blasen abwechseln aus dem Westen oder Osten.
Dann beginnen die Wogen in der Meerenge zu toben, unberechenbare Strömungen
entstehen und der aufgepeitschte Sand am Weststrand von Tarifa weht wie
ein Schleier über der Stadt. Nebelbänke bauen sich plötzlich auf,
verdunkeln die Sonne und verwirren den Reisenden in seinem Schiff.
Ein Ort des Kommens und Gehens, der Begegnung und des Abschieds, der
Bewegung und der Wandlung.
Meine Gedanken
wandern zurück, der Abend in dem kleinen französischen Restaurant, die
Bilder an den dunkelgrün gestrichenen Wänden, bunte Reklameschilder aus
Emaille, die freundliche Kellnerin, die sich nicht aus der Ruhe bringen
ließ von unserem hin- und herlaufen, auf der Suche nach einem passenden
Tisch; wir spürten unsere Unruhe. Bis wir schließlich am Tresen saßen, fast
verborgen in einer Ecke, als wollten wir uns verstecken. Das Stimmengewirr
aus der Gaststube wurde zu einem bunten Nebel, der uns einhüllt, manchmal
zerrissen vom metallischen Klacken der Espressomaschine. Der Raum um uns
herum weitete sich, die Stille der Vertrautheit breitete sich aus. Woher
kannte ich dieses Lachen, die Geste, mit der deine Hand die
Haarsträhne aus dem Gesicht streicht?
Es sprudelte aus
mir heraus, Bilder und Träume, ein schwarzer Panther nahm sie auf und
webte sie zu farbigen, geheimnisvollen Mustern. Unsere Sprache war mit einem mal reduziert
auf Gesten, Blicke, Körperhaltungen. Schließlich war ich eingetauscht in den dunklen
See deiner Augen, im silbernen Blinken des Vollmonds meiner Sehnsucht.
Später saßen wir in deinem Auto, die bunten Leuchtreklamen der
fremden Stadt zogen vorüber, Häuser und Plätze wechselten die
Gesichter. "Fahr weiter", sagte ich leise, "weiter, immer
weiter". Fort aus dieser Nacht, den ersten Sonnenstrahl begrüßen.
Ich höre deinen Gesang in mir,
dunkel, voller Leidenschaft und Trauer. Der sich wiederholende, auf und
abschwellende Melodiebogen, eine Welle der Schönheit und Kraft, die mich
hinaustrug, fort von dir, deine Hand im geöffneten Autofenster,
verschwommen in meinen Tränen des Abschieds.
Vom Nordosten ist
eine Wolkenwand herangezogen, schiebt sich gerade vor die Sonne und ein
scharfer Wind bläst von achtern. Die Menschen hier nennen ihn Levante. Es
scheint, als wollte der Wind uns hinaustreiben auf den Atlantik, schnell,
nimm Abschied, kreischen die Möwen.
In der letzten Nacht
hatte ich einen Traum: „Ich stand am Steuer eines kleinen Kutters,
achtern, mit dem Blick auf das Meer hinter uns, hockte unser Sohn. Das
kleine Boot richtete sich gegen die Wellen auf, schob sich über einen
Kamm und klatschte in ein Wellental. Ich schaute nach hinten, er hielt
sich mit beiden Händen an der Reling fest. In dem Augenblick, als ich
bemerkte, dass er keine Schwimmweste trug, begann er wild mit den Händen
zu fuchteln und rief etwas, was ich nicht verstehen konnte. Ich bekam
einen gewaltigen Schreck, hat furchtbare Angst, mit dem nächsten
Schlingern des Bootes würde er über Bord fallen. Ich versuchte ihn zu
warnen, wollte ihn zurufen, dass er sich festhalten soll, doch obwohl sich
meine Lippen bewegten, ich brachte keinen Ton heraus. In diesem Augenblick
begann das Boot zu sinken, der Rumpf füllte sich mit Wasser. Jetzt sah
ich die Rückenflosse eines Delphins aus einer Welle auftauschen, sah die
geschmeidige Bewegung des silberglänzenden Rückens und verstand, was der
Junge mir zeigen wollte. In diesem Augenblick, tauchte der Kopf des
Delphins aus dem Wasser auf, ihre Köpfe waren für einen Augenblick auf
gleicher Höhe, sie schauten sich an und der Junge blickte in die Augen
des Delphins. Eine blaue Rose leuchtete ihm entgegen. Dann schraubt sich der glänzende Körper scheinbar mühelos
empor, ein Wasserschleier wehte über das Boot und als der Kopf des
Delphins wieder in das Meer eintauchte, machte der Junge einen Sachritt
vorwärts".
In diesem Augenblick
erwachte ich.
Wann werde ich noch einmal an diesen Ort kommen? Hier in diesem Meer ist
ein Schatz verborgen, ich möchte ihn finden, mit Dir – für ihn.
Lajos
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